Auf einem Platz, von dem, so schrie ein markiger Stimmimitator unlängst, schon einmal eine Bewegung ausging, wird wieder demonstriert. Er war mit gräulich schluckender Ausstrahlung aufgetreten und hat seine ganze Rede durch gejault und geheult wie man es aus alten Aufzeichnungen von einem hasserfüllten Mann mit etwas kurz geratener Rotzbremse und irrlichternden Augen kennt. Abgeschottet durch Zäune und gepanzerte Ordnungshüter, die alle kritisch und aufmerksam nach außen schauen, marschieren innen Tiraden auf die Politik und eben jenes System auf, das ihre Redefreiheit garantiert.


Auch in mir marschiert was auf: ohnmächtige Wut. Wir hatten doch aus dem rohen Anblick der Auswüchse unserer eigenen Grausamkeit gelernt und geschworen: Nie wieder! Aber eingezäunt steht da eine fahnenwehende Gruppe, die mit den Symbolen und Slogans eines unterlegenen Totalitarismus kokettieren. Dass sie diesen größenwahnsinnigen und zugleich selbstmörderischen Vergleich anstreben, erscheint mir traurig und lächerlich, ewiggestrig eben. Aber sie kommen sich dabei geil vor.

Ich versuche mich zu beruhigen. Ich versuche mir zu sagen, dass das nunmal so sei, wenn die Kommunikation zusammenbricht, wenn das Aufziehen rhetorischer Grenzen in verhärtete Fronten und die Gehörlosigkeit führt. Du hast es doch einst gelernt, sag ich mir: The breakdown of communication can cause wars. Aber das mit dem Beruhigen gelingt mir heute hier auf diesem Platz nicht so recht. Pffft! entfährt es mir plötzlich empört. Can cause wars. Das hätten sie so gerne, mit ihrer beschissenen Bürgerkriegsandrohung!

Leider wird eine jede Blähung dieses Größenwahns sofort von den Sensationsjournaillen aufgesaugt und die Medien der institutionalisierten Meinungsfreiheit, für die wir unser vierteljährlichen Ablass zahlen, folgen unauffällig mit Fragezeichen statt Ausruf. Schwupps! am nächsten Tag, so gegen Mittag, sind die Themen bei den Populisten der Regierungsparteien angelangt. Umsonst warnen nachdenkende Oppositionsparteien davor, dass dieses Drohen und rhetorische Zündeln bereits zunehmend in Brandanschläge, Terror und Landfriedensbruch übersetzt würde. Der Rechtsdruck führt zum Rechtsruck der halben Parteienlandschaft und ein Jahr später sind die Hirngespinste der besorgten Spaziergänger zu politischen Machtfragen demokratischer Parteien geworden. Wer in die politische Landschaft schaut, findet dort wo einst eine Mitte und ein Konsens blühten: verödete Landschaften. Dieser reflexartige und unhinterfragte Rechtsruck der Opportunisten hinterlässt mich fassungslos. Wieso hat das angstvolle Geifern mehr politisches Gewicht als ihre menschenrechtstreuen Entgegnungen? Wieso skizzieren die Politbarometer eine einsame Kanzlerin, wenn Millionen Menschen täglich dazu freiwillig und arbeitsmäßig beitragen, dass wir es schaffen, einen Bruchteil der Geflüchteten, die in Libanon, Jordanien und der Türkei auf ein Ende des Kriegs und Terrors warten, menschengerecht zu behandeln.

Wütend macht mich aber nicht nur diese ungleiche Wertung der Proteste, sondern auch diese Gummiwand aus Propaganda und gegenseitiger Diffamierung auf der Straße und auf den Datenautobahnen. Es gibt keinen gleichberechtigten Austausch zwischen Menschen, die sich entweder für aufgewacht oder für aufrecht halten und ihre Gegner entweder als gehingewaschene oder als unterbemittelte Idioten herabwürdigen. Da können selbst die Eiche und das Springkraut besser miteinander kommunizieren. Zugegeben, es ist die Unmöglichkeit, die andere Seite mit Argumenten zu überzeugen während sie sich mit agitatorischem Populismus bei viel zu hoher Lautstärke weiter anheizt, die mich gereizt und mit rein symbolischen Parolen auf der anderen Seite des Viehzauns stehen lässt.

Mein Missmut wird dank der um mich herum skandierten dumpfen Forderung „Haut ab!“ auch nicht gelindert. Was ist denn das für eine Gesprächskultur und im übrigen sollten wir doch längst mitbekommen haben, dass die dauernd unverbessert wiederkommen und jedes Mal ganze Straßenblöcke still gelegt und viel zu viel Aufmerksamkeit geschenkt bekommen. Wieso sind wir nicht kreativer im Umgang mit den Totalitarismen und Extremismen, wieso kennen wir nur die stumpfen Waffen des Verbots und der Gegenprovokation?

Unsere selbstgerechte Machtlosigkeit wird mir viel zu unschön deutlich und die ohnmächtige Wut auf diese verkorkste Situation nimmt zu statt ab. Das, so scheint es auf den ersten Blick, habe ich mit denen da drinnen gemeinsam. Aber nein, getäuscht. Kurz reflektiert und schnell erkannt: Das stimmt ja schon lange nicht mehr. Die hinterm Zaun wirken mit ihrer dumpfbackenen Angst ja schon lange ins Staatsgeschäft hinein und werden immer geiler und geifernder. Ich frage zwei der gepanzerten Ordnungshüter, ob ihnen denn bewusst sei, dass der Feind der Demokratie zu deren Schutz sie ausgezogen sind, hinter ihnen stehe und nicht vor ihnen. Keine Antwort.

Am liebsten würde ich allen So wachen Sie doch bitte auf! zurufen, aber der Sinn vom Aufwachen ist gerade zu umkämpft, um ungerahmt eingesetzt zu werden. Denn wenn Aufwachen, so wie es hinter dem Zaun propagiert wird, ein Aufwachen in den blinden Hass, die gezielte Lüge, die konstruierte Opferrolle und die gleichzeitige Androhung einer Lynchjustiz bei herbei phantasierter Machtergreifung ist, dann bin ich lieber beim Zuwachen, weil wenn Aufwachen nix mit Liebe und friedlichem Zusammenleben und optimistischer Großherzigkeit ist, dann kann mir das gestohlen bleiben.

Denn ich weiß ganz genau: Angst ist Gift. Hass ist Gift. Neid ist Gift. Gift ist nicht gut. Atme frei. Du bist. Du bist so wie du bist für eine kurze Zeit lang da auf diesem Planeten. Ein Staubkorn im Universum. Jeder andere auch. Für eine kurze Zeit auf dieser Erde. Also komm mal wieder runter und leg das Großgetue und die Gier und den Stolz und die Meinungshoheit, aber auch den Neid und die Angst mal schön wieder ab. Deine und meine Wut gleich noch mit dazu. Atme.