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WeltenWeitWenden

Dieser Blog

schreibt und fotografiert von dort fort, wo Monacensis aufgebloggt hat.

Selbstgebackene Texte + selbstgeklickte Fotos
= die Poesie der Bloggerei

Des Kaisers grüne Kleider

Politricks Posted on Di, Juni 04, 2019 01:28:51

Hohle Phrasen nach den Wahlen lassen mich zur Schreibmaschine wandern.

Wie im Märchen von Hans Christian Andersen sind es in der heutigen Öffentlichkeit die Kinder und Jugendlichen, die die willentliche Selbsttäuschung des Machtapparats wirkungsvoll ansprechen. In Andersens Märchen erkennt der Kaiser seinen Fehler, in der wahrscheinlichen Vorlage – im Exempel 32 des Conde de Lucanor von Don Juan Manuel aus den frühen 30er Jahren des 13. Jahrhunderts – ist diese Einsicht die Voraussetzung für die beispielhafte Nennung des Vorfalls.
Nun ziehen sowohl der Conde als auch der Kaiser sofort Konsequenzen aus der allgemeinen Erkenntnis ihrer Nacktheit. Aus der Einsicht, dass die güngewaschenen Kleider nicht grün genug sind, hat der zeitgenössische politische Diskurs bislang allerdings keine erwartbaren Konsequenzen gezogen. Ich meine es ist dies jetzt genau der richtige Zeitpunkt die Ausreden auszuziehen und die Konsequenzen anzugehen.

Daniel Graziadei ’19



Das Ausgrenzungsgesetz wird abgelehnt

Politricks Posted on So, Oktober 23, 2016 04:51:51


[Auf der Demo gegen das Ausgrenzungsgesetz
euphemistisch bekannt als bayrisches Integrationsgesetz
am 22.10.2016 in München]

#muc2210

Wir laufen

in So li da ri tät

und die ganze Welt

wird eins im Klatschen

im Vielschritt

im Aufschrei

für Respekt

und Liebe

und ner dicken Umarmung

Naja vielleicht nicht die ganze Welt

aber zumindest alle

die auf!machen

Herz Hirn und Maul

und Arme und Grenzen

Dem interessierten Passant

einem Herrn mit Hut und Anzug

schüttelt es ordentlich die Gehirnwindungen durch

als er von der jungen Dame mit Farbe

in den Gedanken erfragt dass sie no borders no nations

just flows of migrations sieht und denkt und fühlt

von Lucie über Ötzi und der Völkerwanderung bis ins Heute

Sie spricht keinem Fahnenschwur

keinen Ländern und Grenzen Legitimation zu

Hat stattdessen ein einfaches Credo

Wir sind alles Affen

vom Baum gefallen lausen wir uns gierig

und nein kein Stück Papier ist mehr wert als ein anderes

Alles tote Bäume

mit etwas Metall darin und Plastik drauf

Pass Pass Pass auf!

Und schon graust und schüttelt es ihn anders weiter

weil er da ein paar junge Männer liegen sieht gleich neben ihm

auf dem harten kalten Teer da liegen sie hingeworfen ungeschützt

unter den schwarzen Uniformen mit ihren Knieschützern Armschützern

Helmen und Kinnschützern und Eierschützern und extra dickem Stoff

Da wird fachmännisch reingeprügelt pamm! pamm! Buuuuuuh! pamm!

und entsetzt steht daneben der Herr gereizt zu Tränen

weil bei Provokation eben Einsatz

Tssssssschhhhh! Pamm!

Von der Bühne aus wird währenddessen

das Ausgrenzungsgesetz abgelehnt

mal wohlartikuliert mal im Genuschel

Zwischen den Beiträgen singen Amateure



vergönnt. auch das nicht mehr

Politricks Posted on Mi, September 21, 2016 19:32:11

München. Englischer Garten. Unterhalb des Monopteros. Am Wegesrand. Spätsommer.

Vor dem gepanzerten Müllkübel setzt die ältere Dame zum Selbstgespräch an: „San uns die Floschn a scho nimmer vergönnt!“ Späht noch einmal hinein und schlurft dann kopfschüttelnd weiter. Langsam, schwerfällig und vom Kummer gekrümmt.

Fast möchte man leise und resignierend zustimmen. Ja sagen. Ja, sehr verehrte Dame, die Flaschen nicht, ja selbst das Wasser nicht, das müssen Sie sich mal vorstellen, halten manche doch tatsächlich selbst das Wasser für kein Menschenrecht mehr, die sorglose Freude am Leben und die Genügsamkeit nicht. Das alles ist uns nicht mehr vergönnt, wir können bloß alles kaufen, viel mehr als wir brauchen, kaufen kaufen kaufen. Wenn, ja wenn wir das nötige Kleingeld haben. Was bedeutet vergönnt denn überhaupt noch? Ist uns überhaupt noch etwas vergönnt? Muss denn heut nicht alles profitabel sein und der Gewinn stets wachsen?

Vergönnt bleibt Ihnen nur noch das tägliche Altern. Der stete Zuwachs an Einsamkeit, Langsamkeit und Selbstgesprächen. Die Verzweiflung angesichts der eigenen Ohnmacht, des Hungers und des Schwindens der goldenen Zeiten in der wankelmütigen Erinnerung. Vergönnt ist uns die totale Entfremdung von dieser Masse aus zugespitzten Ellebogen und zornverzerrten Mäulern auf rechthaberisch. Nein, sonst ist uns nichts mehr vergönnt.

Und doch steht uns alles offen. Hinter diesem Park weiten sich irgendwo die Wiesen in die Wälder und Berge und einen Horizont der sich da öffnet in die Möglichkeiten.


Daniel Graziadei 2016

[Die Bilder sind an anderen Orten und doch in ähnlichen Zeiten entstanden.]



Montäglicher Autoritarismus

Politricks Posted on Di, April 12, 2016 02:29:15

An jedem gegebenen Montag

Dehnungsübungen in demokratischem Grundrecht

unter der Beteiligung von

– den gröhlenden Spaziergängern vom Angsthasenzüchterverein

– ihren bunt pfeifenden Gegnern von der grenzenlosen Solidarität

– der Überzahl an schwarzgepanzerten Organen der Macht

im abgesperrten Zentrum der Weltstadt mit Herz

bei Sonnenuntergang

eigentlich willst du nur heim

aber auf deinem Heimweg stehen schwarz uniformierte Hundertschaften

um dem örtlichen Angsthasenzüchterverband eine fette Amplifikation

von der Breite und Länge einer ganzen Prunkstraße zu bieten

abschließende Denkmäler von mehrdeutiger Qualität inklusive

Also hin zu den Gegnern um zur Zahl und zum Zeichen zu werden

Gesicht zeigen für die Kameras der vorsorglichen Registrierung

und laut pfeifen wenn graue Männer am Mikrophon vom Welken schwärmen

und vom Patridiotismus der bei ihnen jetzt ganz rüstig blüht

Wird bebend versichert, dass sich die Natur im Altern dem Fahnenstolz beugt

was bleibt dann den jungen und junggebliebenen Herzen noch zu erwidern

außer n Schulterzucken, n Beileid und ein handgemachtes Plakat aus Hoffnung

Was bleibt außer gelassen und bestimmt zu bleiben und bella ciao zu singen

wie Moorsoldaten hinter angemeldeten Spaziergängern herzuwanken

umkreist und gefilmt von den schwarzen Blocks der Staatsgewalt

bis sich einige einfach nur hinsetzen und dem Folgen ein Ende bereiten

Mitten im Kessel mit aufgeweckten Menschen über Autoritarismus diskutieren

und einen autoritären Befehlstonfall von allen Seiten greinen hören

Egal ob ihr uns mit Wacht auf! oder Hinsetzen! oder Räumen! anherrscht

das klingt alles wie’n gescheiterter Überzeugungsversuch

Und da sag ich freundlich bestimmt und im Reflex reflektiert

Nein danke, passt schon, ich bleib dann mal träumen

2356110416 MUC

Daniel Graziadei



De.Montage

Politricks Posted on So, Januar 31, 2016 05:38:18

Auf einem Platz, von dem, so schrie ein markiger Stimmimitator unlängst, schon einmal eine Bewegung ausging, wird wieder demonstriert. Er war mit gräulich schluckender Ausstrahlung aufgetreten und hat seine ganze Rede durch gejault und geheult wie man es aus alten Aufzeichnungen von einem hasserfüllten Mann mit etwas kurz geratener Rotzbremse und irrlichternden Augen kennt. Abgeschottet durch Zäune und gepanzerte Ordnungshüter, die alle kritisch und aufmerksam nach außen schauen, marschieren innen Tiraden auf die Politik und eben jenes System auf, das ihre Redefreiheit garantiert.


Auch in mir marschiert was auf: ohnmächtige Wut. Wir hatten doch aus dem rohen Anblick der Auswüchse unserer eigenen Grausamkeit gelernt und geschworen: Nie wieder! Aber eingezäunt steht da eine fahnenwehende Gruppe, die mit den Symbolen und Slogans eines unterlegenen Totalitarismus kokettieren. Dass sie diesen größenwahnsinnigen und zugleich selbstmörderischen Vergleich anstreben, erscheint mir traurig und lächerlich, ewiggestrig eben. Aber sie kommen sich dabei geil vor.

Ich versuche mich zu beruhigen. Ich versuche mir zu sagen, dass das nunmal so sei, wenn die Kommunikation zusammenbricht, wenn das Aufziehen rhetorischer Grenzen in verhärtete Fronten und die Gehörlosigkeit führt. Du hast es doch einst gelernt, sag ich mir: The breakdown of communication can cause wars. Aber das mit dem Beruhigen gelingt mir heute hier auf diesem Platz nicht so recht. Pffft! entfährt es mir plötzlich empört. Can cause wars. Das hätten sie so gerne, mit ihrer beschissenen Bürgerkriegsandrohung!

Leider wird eine jede Blähung dieses Größenwahns sofort von den Sensationsjournaillen aufgesaugt und die Medien der institutionalisierten Meinungsfreiheit, für die wir unser vierteljährlichen Ablass zahlen, folgen unauffällig mit Fragezeichen statt Ausruf. Schwupps! am nächsten Tag, so gegen Mittag, sind die Themen bei den Populisten der Regierungsparteien angelangt. Umsonst warnen nachdenkende Oppositionsparteien davor, dass dieses Drohen und rhetorische Zündeln bereits zunehmend in Brandanschläge, Terror und Landfriedensbruch übersetzt würde. Der Rechtsdruck führt zum Rechtsruck der halben Parteienlandschaft und ein Jahr später sind die Hirngespinste der besorgten Spaziergänger zu politischen Machtfragen demokratischer Parteien geworden. Wer in die politische Landschaft schaut, findet dort wo einst eine Mitte und ein Konsens blühten: verödete Landschaften. Dieser reflexartige und unhinterfragte Rechtsruck der Opportunisten hinterlässt mich fassungslos. Wieso hat das angstvolle Geifern mehr politisches Gewicht als ihre menschenrechtstreuen Entgegnungen? Wieso skizzieren die Politbarometer eine einsame Kanzlerin, wenn Millionen Menschen täglich dazu freiwillig und arbeitsmäßig beitragen, dass wir es schaffen, einen Bruchteil der Geflüchteten, die in Libanon, Jordanien und der Türkei auf ein Ende des Kriegs und Terrors warten, menschengerecht zu behandeln.

Wütend macht mich aber nicht nur diese ungleiche Wertung der Proteste, sondern auch diese Gummiwand aus Propaganda und gegenseitiger Diffamierung auf der Straße und auf den Datenautobahnen. Es gibt keinen gleichberechtigten Austausch zwischen Menschen, die sich entweder für aufgewacht oder für aufrecht halten und ihre Gegner entweder als gehingewaschene oder als unterbemittelte Idioten herabwürdigen. Da können selbst die Eiche und das Springkraut besser miteinander kommunizieren. Zugegeben, es ist die Unmöglichkeit, die andere Seite mit Argumenten zu überzeugen während sie sich mit agitatorischem Populismus bei viel zu hoher Lautstärke weiter anheizt, die mich gereizt und mit rein symbolischen Parolen auf der anderen Seite des Viehzauns stehen lässt.

Mein Missmut wird dank der um mich herum skandierten dumpfen Forderung „Haut ab!“ auch nicht gelindert. Was ist denn das für eine Gesprächskultur und im übrigen sollten wir doch längst mitbekommen haben, dass die dauernd unverbessert wiederkommen und jedes Mal ganze Straßenblöcke still gelegt und viel zu viel Aufmerksamkeit geschenkt bekommen. Wieso sind wir nicht kreativer im Umgang mit den Totalitarismen und Extremismen, wieso kennen wir nur die stumpfen Waffen des Verbots und der Gegenprovokation?

Unsere selbstgerechte Machtlosigkeit wird mir viel zu unschön deutlich und die ohnmächtige Wut auf diese verkorkste Situation nimmt zu statt ab. Das, so scheint es auf den ersten Blick, habe ich mit denen da drinnen gemeinsam. Aber nein, getäuscht. Kurz reflektiert und schnell erkannt: Das stimmt ja schon lange nicht mehr. Die hinterm Zaun wirken mit ihrer dumpfbackenen Angst ja schon lange ins Staatsgeschäft hinein und werden immer geiler und geifernder. Ich frage zwei der gepanzerten Ordnungshüter, ob ihnen denn bewusst sei, dass der Feind der Demokratie zu deren Schutz sie ausgezogen sind, hinter ihnen stehe und nicht vor ihnen. Keine Antwort.

Am liebsten würde ich allen So wachen Sie doch bitte auf! zurufen, aber der Sinn vom Aufwachen ist gerade zu umkämpft, um ungerahmt eingesetzt zu werden. Denn wenn Aufwachen, so wie es hinter dem Zaun propagiert wird, ein Aufwachen in den blinden Hass, die gezielte Lüge, die konstruierte Opferrolle und die gleichzeitige Androhung einer Lynchjustiz bei herbei phantasierter Machtergreifung ist, dann bin ich lieber beim Zuwachen, weil wenn Aufwachen nix mit Liebe und friedlichem Zusammenleben und optimistischer Großherzigkeit ist, dann kann mir das gestohlen bleiben.

Denn ich weiß ganz genau: Angst ist Gift. Hass ist Gift. Neid ist Gift. Gift ist nicht gut. Atme frei. Du bist. Du bist so wie du bist für eine kurze Zeit lang da auf diesem Planeten. Ein Staubkorn im Universum. Jeder andere auch. Für eine kurze Zeit auf dieser Erde. Also komm mal wieder runter und leg das Großgetue und die Gier und den Stolz und die Meinungshoheit, aber auch den Neid und die Angst mal schön wieder ab. Deine und meine Wut gleich noch mit dazu. Atme.