Blog Image

WeltenWeitWenden

Dieser Blog

schreibt und fotografiert von dort fort, wo Monacensis aufgebloggt hat.

Selbstgebackene Texte + selbstgeklickte Fotos
= die Poesie der Bloggerei

Wen wehren Wehren?

Leben lieben Posted on Mo, November 02, 2015 01:50:11

Wenn nun wieder Wehren wehren

wen wehren sie denn dann

und vor wem

?

Es gibt Männer, die sich gerne in Federn und Uniformen werfen um dann aufzumarschieren, mit nostalgischen Knallgewehren.

Eine patriotisch-konservative Politik-Veranstaltung, die sich als identitätsstiftender Traditionsverein tarnt.

In den Alpen nennen sie sich Schützen. Doch wen, so fragte einst eine spitze Zunge von pazifistisch-demokratischem Gemüt, ja wen schützen Schützen?

Und die Bergschluchten antworteten lakonisch: Schützen schützen Schützen.

Andererseits gibt es auf dieser Welt Frauen und Männer, die nehmen in Abwesenheit des Staates ihren ganzen Mut und ihre Jagdgewehre mit auf die Barrikaden und zeigen den lokalen Drogenbossen, dass jetzt Schluss ist mit dem Morden, der Korruption und der Spirale der Gewalt.

Diese paramilitärisch-sozialen Projekte, die sich Dörfer und Städtchen von Kartellen zurückholen, nennen sich in Nordmexiko autodefensas.

Tritt der Staat kurz auf, so müssen diese Selbstverteidiger trotz der anhaltenden Gefährdung ihrer Gemeinden ihre Waffen abgeben.

Dann wiederum gibt es Typen, die haben selbst in seelenruhigen und gut beleuchteten Städtchen nächtens scheinbar Angst.

Auf jeden Fall werfen sie sich in ihre Springerstiefel und Bomberjacken, packen ihre viel zu großen Taschenlampen und ihre reinrassigen Kampfhunde ein und streunen dann in Rudeln auf offener Straße umher.

In Deutschland nennen sich diese Selbsthilfegruppen für aggressiv-besorgte Spaziergänger beim nächtlichen Aggressionsabbau gerne Bürgerwehren.

Und wehren tun die sich mittlerweile ganz kräftig gegen alles was anders scheint und anders schaut und anders denkt.

Mit Verlaub und mit Blick auf den Vergleich:

Es ist höchste Zeit, dass diese Nachtwächter ihre Gewalt wieder an die hübsche Blinde mit der Waage und die stramme Dame mit dem Monopol abgeben.

Daniel Graziadei



Schlammschland, rechtsaußen

Leben lieben Posted on Sa, August 01, 2015 21:30:26

DIE NEUESTEN NACHRICHTEN von übergestern mit einfachen Titeln
in
GROSSEN LETTERN umgarnt von nackten Titten:

SCHWACHER KREISLAUF! Verhaftete Pioniere springen in Lagern ohne Arbeitserlaubnis im Dreieck!

NEUE ZEITEN – NEUER WIND: Regierung wird von Wirtschaft links überholt! Zitat der handfesten Rechnung: wir brauchen diese weitgereisten Visionäre und Fachkräfte.

BOMBENSTIMMUNG! (Vermeintlich) Ausgebeutete und (vermeintlich) Unterprivilegierte sind zu faul für ne Petition und lassen ihren Frust lieber an noch Schwächeren und Ärmeren aus.

Freilauf der hasserfüllten Parolen an den Stammtischtrögen

stumpfer Lokale im Schein und Klimbim der Glücksspielautomaten

abgehört von Volksvertretern für die Wiederwahl

im Scheinwerferschein der Desinformation

Gedankenpferch und Phrasenkarusell

Schuld ist nicht die Mär vom ewigen Wachstum und vom Recht auf Arbeit

Schuld ist weder die Privatisierung der Gewinne noch die Verstaatlichung der Verluste

und schon gar nicht das Glücksspiel nein

Schuld ist komischerweise der Neue der noch gar nicht angekommen ist

weil der ist zumindest schwach genug: da traun sie sich

Zutritt Eintritt Drauftritt hereingeschlagen eingeschlagen draufgesprungen

gewaltig wie viel da ausläuft

braune Soße und blauer Benzin

Da sind sie wieder die feurigen

Aufmärsche der drögen Mobs und Möpse die sich dazu bekennen

sich laut grölend im schwarzen Sumpf zu suhlen

aufgerecht selbstgeschlecht und patridiotisch

Fahnen Fanatismen und Neusprech aus übersteuernden Boxen

Das Entschlafen des Mitgefühls nennense Aufwachen

und der rassistische Terrorist nennt sich besorgter Bürger

Abernazis, Manmussesdochmalsagendürfenfaschos und Lynchjustizler

nennen sich Spaziergänger, Menschen und Bürgerwehrler

Alles strotzt vor Angst und Neid und Gier und Neid und Gier und Hass Hass Hass

Traditionen des Terrors flackern wieder auf wie Lauffeuer

aus der Asche dem Trauma und dem Frust der Trümmerfrauen

aus der Angst dem Trauma und dem Verlust der Kindersoldaten

der schwelende Hass der schlechten Verlierer

Lang knisterte es unterm Teppich der Entn*zifizierung

kuschte vor demokratischen Diktaten politischer Korrektheit

Mäntel des Konformismus anstatt Konfrontation mit dem Grauen

Bequem wars – aber was hats gebracht?

Die Wiederkehr des Verdrängten als volle Watschen

Hass und Gewalt und Blabla

Säue und Böcke werden wieder durchs Dorf getrieben

Pranger und Federn und Teer und Rechtsschreibschwächen

Oma bügelt den Enkeln die Braunhemden auf

Banden terrorisieren wieder Nachbarschaften

und der Populist fordert freilich Verständnis

für ach so aufrichtige Sorgen

und ach so richtige Ängste:

Armes Schlammschland

das ist ihre Parole

Im Schatten vom Zirkus helfen derweil

bereit bestimmt und voll guter Taten

Menschen mit kräftigen Herzen

Zeigen wie sich lebt

Nächstenliebe Gastfreundschaft und Friede



denk ich an ‚ropa in der nacht

Leben lieben Posted on Do, Juli 16, 2015 02:34:27

[dreistimmig in stereo]

schwarz & weiß leuchten grau

und mir ist auch schon schlecht

miaumiau

magen flau

und herz ganz mau trotz auf

regung

rollstuhl dreht

die zahlen schwarz

die null so dunkel

in gschicht so hell

bis weißgebleicht

wie vor

zeiten

dumpfgebräunt

wieder weiten

grollen

adlers

schwingen

über

ziehen zielvorgaben

mit ultimaten

denn befehl ist wieder

befehl


und wieder jubeln

nationalismus

chauvinismus

militarismus

patridiotismus

märsche

ärsche

geschürte ängste

feuercocktails

kugeln

bomben

schimmelnde rosinen

auf alles andre nieder

bloß meinem innren affen

ist’s schon wieder zuwider

———————

Dank geht an die Schmerzen, die mir Vulgär-Heroismus. Denk ich an Jünger in der Nacht auf der Studiobühne und unterm Dach der Ludwig 25 mit Tanz, Gesang und Spiel zugefügt hat.
Sie sind nötig in Zeiten wie diesen, in dieser Wiederholungsschleife imperial-totalitärer Präpotenz.

Blessinx go out to Russell Brand as this poem found its ending in an echo of: „My inner ape is not satisfied with these leaders!“

Habt es gut, energisch und hoffnungsfroh,
d



MC in den MK

Theater Posted on Fr, Mai 29, 2015 17:09:40

Mutter Courage,

ich erinnere mich an dich… Irgendwo in einem zugestaubten Eck meiner inneren Bibliothek, ein Wagen, ein stahlgrauer Himmel und eine Gestalt, der Schatten einer energischen Frau. Leid und Lebensdurst am Rande des Gemetzels. Kälte, Wind und Blut. Aber, Mutter Courage, die verblassten Bilder sind wieder aufgetaucht, weil aufgefrischt in den Münchner Kammerspielen. Eine pixelige Skyline mit Hochhäusern und Bergen im Hintergrund. Ein Hauch Amerika und ein Tick Computerspiel auf dünnweißem Vorhang.

Dahinter: Lichterspiele, als ob ein riesiger Skorpion seinen blauleuchtenden Stachel heben und senken würde. Dann: Fluter. weiße Wände, grauweiße Kostüme, Messing, Federn, ne Dose, ne Kanonenkugel, ein paar Stöckelschuhe und mitten drin throhnend, die große Maschine, ein Motor, nackte Technik. Ihr Wurmfortsatz: ein Feuerlöscher im Prinzessinnenkleidchen.

Thomas Schmauser gelingt es mit einer furios minimalistischen und zugleich modernistisch-martialischen Bühne von Anfang an klare Verhältnisse zu schaffen. Das ist zwar Brecht, aber das ist auch jetzt und hier und zugleich immer und überall. Hier sitzt der Souffleur auf der Bühne und diktiert laut und deutlich, aber er marschiert auch als Ehrengarde und steppt sogar den Krieg.

Die Kostüme (Estelle Cassani) unterstützen sowohl die schlichte und doch ausdrucksstarke Visualisierung, als auch die transhistorische Lesbarkeit des Stücks und öffnen diese auf die Zukunft hin. Die Klangmalerei von Ivica Vukelic schafft es, vorgegebenes Liedgut, historische Situierung und Aufführungsmoment in einem auditiven Raum ohne vierter Wand, zu vereinen. Dabei werden extreme Gefühlslagen auf eindringliche Weise vertont: Die Angst dröhnt als dumpfes Pumpen und der Horror als schrilles Piiiiiiiieeeep in uns ein.

Mutter Courage, die innere Bibliothek kennt jetzt das wankende Stakseln und das naïve Krächzen der Yvette sowie das taumelnde Schweigen der Kattrin, interpretiert durch Lena Lauzemis.
Mutter Courage, die Bibliothek, sie ist bereichert durch die Fragilität und konzentrierte Bleiche des Schweizerkas und Soldaten eines Christian Löber, in ihr lachen die Balken über das Watscheln, das Murmeln und Glotzen eines Stefan Merki.

Auch die Windungen der Würdenträger aus Kirche und Heer (Peter Brombacher) kringeln da.

Aber vor allem und tief eingebrannt sind das Zittern, das Winden, das Stottern und das Dröhnen des Eilif, genial gespielt von Leonard Klenner.


Rundum die Ereignisse klammert sich deine ewige Sorge, Courage, du und deine Händel, dargestellt von Ursula Werner und, kaum warmgespielt, vergesse ich ihr Alter und du wirst jung und zackig, Courage, um im Laufe des Stücks in die Einsamkeit hinein zu altern und wieder starr zu werden und weiterhin stur zu bleiben.

Weil in deiner Welt kein Offizier oder Feldprediger und kein Spion oder Koch ohne Makel ist, weil Dir kein Kind bleibt, weil der Krieg zwar ewig dauert, aber keine Gewinner kennt, nein, keine. Durch diese Inszenierung wird alte Weisheit neu unterstrichen. Aber nicht nur das, da ist noch was.

Allerspätestens wenn die Fahne eingeholt wird, oder besser gesagt, spätestens wenn klar wird, dass die blaue Fahne eigentlich ein Vorhang in ukrainisch Blau-Gelb ist, bricht diese gewaltige Metapher der gefräßigen Kriegsmaschinerie ins Hier und Jetzt ein. Botschaft per Überraschung: Zwar wird in der Welt des Spiels eine Fahne eingeholt, aber dadurch wird sie umso größer und einnehmender über den Horizont des Publikums gezogen, um dann auf der offenen rechten Seite, hinter den Scheinwerferbatterien, zum Stillstand zu kommen.
Das ist nicht nur ein genialer metatheatraler Zug, sondern auch eine Spielerei mit der Tradition. Der Brechtsche Zeigefinger, er ist zwar da und er zeigt uns auch, dass das Spiel den Zuschauer unmittelbar betrifft, aber zugleich ist er ein zweifarbiger Vorhang, eine Bewegung aus leichtem Stoff und dann ist auch wieder gut.
Doch die kleine Überraschung reicht. Ab da ist das, was uns die gelungenen Kostüme und die abstrakte Bühne von Anfang an zeigen, endgültig klar: Das ist zwar damals, bei Pharaonen und Inkas, aber das ist auch gestern und heute, hier bei uns und das ist auch morgen, überall; und der Kriegsmotor, der leuchtet und läuft und läuft und läuft und läuft. Rundum, das große Sterben.

Mutter Courage,

beim Beifallklatschen ist es mir wieder eingefallen: Du bist eine Watsche und die sitzt.

Daniel Graziadei

Dieser Eintrag ist entstanden unter dem Eindruck der Premiere von Mutter Courage in den Münchner Kammerspielen 2015.

[Herzlicher Dank geht an Estelle Cassani, die mir die hier verwendeten Fotos – ohne Einfluss auf meinen Eindruck und diesen Text – auf Anfrage hin zur Verfügung gestellt hat.]



Blattlicht

Leben lieben Posted on Mo, Dezember 15, 2014 00:11:38

aus dem wintergrau

sturmblau und kurz

auch himmel

ja sogar berge

kaum zu glauben

dass das keine fata ist

und keine morgana sein will

auf allen oberflächen

glitzert das verlangen

nach licht in farbenfroh



Im Vorbereiten auf das Jahreswenden

Leben lieben Posted on Mi, Dezember 10, 2014 00:55:19

Im Vorbereiten auf das Jahreswenden

Fotos sichten

Bilder mit Gedächtnis dichten

und weiter schichten

Kalte blasse Leere starrt aus Monatskarten

in der umsonst Pupillen auf die Fotos warten

Graue Männer aus dem Innern stahlen Zeit und Objektive

Trotzdem lacht da aus der Tiefe

Dankbarkeit und Segen

aus der Welle mit dem freiem Blick

zurück



mo|men|tos IIII

Auftritte Posted on Di, November 25, 2014 22:34:39

Liebe Freunde des gesprochenen, geschriebenen, getippten, gemalten und fliegenden Wortes:

am Donnerstag 27.11.14 findet im

Keller der Kleinen Künste

in der Buttermelcherstraße 18

in München

im Rahmen der Lesereihe Liaison

die zweite Performance der Foto- & Textinstallation

mo|men|tos
statt.

Beginn 20 Uhr

Unter diesem Link findet sich der Trailer zu diesem Ereignis, bei dem die Schwarz-Weiß-Fotografien von Mario Steigerwald mit Texten von Désirée Opela und Ayna Steigerwald sowie live-vor-Ort-Getipptem von meiner Wenigkeit zusammenfinden.

Wir freuen uns auf viele aufmerksame Gäste!

http://momentossite.wordpress.com/events/

mo|men|tos from mo|men|tos on Vimeo.



Kunst im Karrée

Auftritte Posted on Mi, Juli 09, 2014 12:42:27


Dies ist eine kleine Ankündigung zu freudigen Wortspielereien!

Freitag, amstag und Sonntag (11.-13.07.14) ist wieder Kunst im Karrée in Schwabing, die Künstlerateliers und Werkstätten öffnen ihre Türen und ich bin auch wieder poetisch dabei!

Am Samstag bin ich mit Schreibmaschine und Inspiration ab 18 Uhr im Atelierhaus (Theresienstraße 65 Rgb) beim Spontanschreiben und VorLesen zu sehen und hören. Man darf mir bei der Gelegenheit auch gerne Worte und Sätze eingeben.

Am Sonntag versuch ich Ähnliches zur Mittagszeit bei 84GHz in der Georgenstraße 84 (Ecke Isabella).

Und ebenfalls am Sonntag wird das ganze um 17 Uhr noch gekrönt von einer kleinen Lesung im Rahmen eines genialen Streichkonzerts in der Werkstatt von Geigenbau Stegmüller.

Über aufmerksame und mitmachende ZuhörerInnen würde ich mich sehr freuen!

Alles Liebe,

dAn_iel



Eine Prise Mord

Film Posted on Fr, Mai 23, 2014 09:08:45

„Ich habe gemordet“ schreibt der Untertitel, während die in das Blut eines geldigen Bordellsaunabesuchers getünchte Rezeptionistin in einer Kehre der Bergstraße heftig in das Telefon atmet. Sie ist eine aus der Flut der Frauen aus einfachen Verhältnissen im Sexgeschäft für die Reichen, die diesen Film bevölkern.
Am Anfang steht allerdings eine fulminante Eröffnung aus Racheglüsten und einer jeden Menge Zitate aus dem chinesischen martial arts, die sich hier korrupte Bürgermeister, Kohlefabrikbesitzer und ihre Buchhalter, Pferdefolterer vorknüpfen. Das ganze in einem wilden Osten aus ländlichen Landschaften, die unter dem Beton der modernen Riesenprojekte und dem Kohlestaub des ökologischen Raubbaus ihre uralten kulturellen Verknüpfungen verlieren.

Erraten, ich war schon wieder auf den Chinafilmtagen. A Touch of Sin. Irgendwie anders als sein beinahe-Homonym A Touch of Zen. Die intertextuelle Poetik der Ausstellung der Tradition ist auch hier stark, aber eben unter Kohlestaub und dem Gezitter der Baumaschinen stark lädiert, verschüttet, von Superreichen betatscht und für ein kurzes Abenteuer gekauft.

Aber das wäre zu einfach um schon wieder hier zu schreiben. Ich hätte da vielmehr so ein paar Fragen, die ich heute Nachmittag um 16 Uhr bei der Gesprächsstunde aus terminlichen Gründen nicht stellen kann.

Ist die neue Generation anders? Wenn sich die jungen Menschen – ausgebeutet, schlecht verliebt und von den Eltern unter Druck gesetzt – in den Selbstmord stürzen, ist das dann so, wie wenn ein Herr mittleren Alters zur Selbstjustiz greift? Ein anderer zum Mörder und Banditen wird? Und wieso ist es so, dass dieser Film in der jüngeren Generation nicht nur Transsexualität andeutet, sondern vor allem diese Abkehr vom blutspritzenden Morden? Gewalt gegen sich selbst anstatt Gewalt gegen die Ausbeuter und korrupten Beamten.

Gellt aus dem Freitod des jungen Arbeiters der gleiche Schrei gegen die Ungerechtigkeit wie aus dem kurzen Leben eines Rächers? Und wie gehen wir weiter in die Gewaltlosigkeit?

Ich bräuchte dann mal ein paar Antworten.



Es geht ganz ohne Europa: Amerikanische Träume in China

Film Posted on Do, Mai 22, 2014 04:54:34

Wenn eine Reise lang und intensiv genug ist, dann tut sich ein neuer Blick auf. Das Eigene erscheint merkwürdig fremd.
Manchmal reicht es auch einen besonders intensiv einwirkenden Text – egal ob Roman, Kurzgeschichte oder Gedicht – zu lesen und schon ist nichts mehr ganz so wie es vorher war. Die Koordinaten verschieben sich, die Zentralperspektive zeigt sich als kläglicher Versuch die Vielzahl zu minimieren, die Welt erfassbar zu machen.
Manche Filme können das auch. Heute war ich in genau so einem. Die Münchner China Filmtage haben begonnen. Willkommen in anderen Realitäten.

Diese beginnen in München eigentlich bereits zumeist dann, wenn man ein alternatives Kino dieser Stadt besucht. Widerstand gegen die Gassenhauer, Filme aus anderen Welten, in anderen Sprachen, mit Untertiteln versehen. Weniger Prunk, mehr Inhalt und Anderwelten. Das Monopol ist so ein Ort.

Aus einem Sonnentag im Übergang zum Abend hinunter in die Eingeweide des Kinos. Im Foyer kleine Grüppchen in angeregten Gesprächen. Dann klingt das Glas, sie beginnen also, die Chinafilmtage 2014. Hier stehen zum großen Teil Menschen, die eine Ahnung haben. Engagierte Sinologen, die das China-Bild hierzulande etwas diversifizieren wollen, uns neue Perspektiven schenken wollen. Während ich auf den Auslöser drücke weiß ich noch nicht, wie sehr die einleitenden Worte im Foyer noch am selben Abend meinem eigenen Sehen gelten werden.

Der Ahnungslose lauscht Professor van Ess der hiesigen Sinologie bei seinen Ausführungen, die den Bogen von frühen Schriften voller Beschwerden der weitreisenden Beamten bis zum Ticket für den (Hochgeschwindigkeits)Zug der Harmonie spannen und damit direkt zur Vorlage für das Plakat und Programmheft führen. Aha, also doch kein Boardingpass. Das wird kein distanzierter Überflug, das kreuzt – frei nach dem Titel Crossing China – tief durch die Mitte.

Spätestens wenn die Dame vom Kunfuzius-Institut München chinesisches Fingerfood vor dem Film ansagt, wird dem Ahnungslosen klar: dieser Auftakt ist nicht bloß eine intellektuelle und filmische Reise, diese Fahrt geht bis in den Körper, es ist auch eine kulinarische Reise. Und sehr schnell stellt sich heraus: eine äußerst leckere noch dazu.


Dann folgt die Hauptspeise, die mich ins nächtliche Schreiben drängt. American Dreams in China. Ein Film aus dem vergangenen Jahr. [Achtung, die folgenden Zeilen verraten einiges und doch nichts über den Film]

Nicht die Studentenjahre der Protagonisten, nicht die ländlich-agrarische Herkunft des einen, die fatale Eroberungen einer US-Amerikanerin des anderen und auch nicht die gekränkte Selbstverliebtheit des dritten lösen in ihrem Zusammenspiel und dem gemeinsamen Aufbau einer hypererfolgreichen Sprachschule für amerikanisches Englisch, inklusive der dazugehörigen Kultur samt Vorbereitung auf Tests und Einreisebefragungen, den Klaps auf den eurozentrischen Hinterkopf aus. Nein.
Die Erfolgsgeschichte, die ohne Europa auskommt und trotz aller Vielstimmigkeit ein neues China als Ablöse der USA in Stellung bringt, die löst den Klaps aus.
Wenn das traditionelle Faible für Prüfungen und Auswendiglernen mit dem Edutainment, dem pompös unterhaltenden Gaukeluntericht, fusioniert und sich als neue Erfolgsgeschichte präsentiert. Wenn dahinter – gegen Ende des Films – die Narben des am eigenen Leib erfahrenen Rassismus deutlich aufbrechen. Wenn die drei Freunde nach ökonomischem Erfolg und emotionalem Bankrott im Kampf gegen die China-Stereotypen amerikanischer Kläger wieder zusammenfinden. Wenn sie im erfolgreichen Börsengang ihr globalökonomisches Happy End finden. Wenn ein glückliches Ende darin bestehen kann, sich die Verletzungen durch die US-amerikanische Überheblichkeit eingestanden zu haben und endlich ernst genommen zu werden weil milliardenschwer und börsennotiert.
Dann wird dem Ahnungslosen einiges klar, das er davor nicht sehen konnte.

Dass die eigene Nabelschau außerhalb der Fluglinien, der Leinwandweiten und interkontinentalen Beziehungen liegt, ist der eine Klaps. München, Bayern, Deutschland, Europa liegen weit außerhalb der transpazifischen Übersetzungen.
Dass die Logik des Aufschwungs in die Gleichberechtigung zwar die Vermischung einiger Elemente beider Systeme beinhaltet, aber dennoch einen kapitalistischen Nationalismus feiert, ist der andere Klaps. Was bedeutet das für die Zukunft?

Genügend Gesprächsstoff also, für das Foyer nach dem Film.

Während der Ahnungslose kurze Zeit später – noch im Kopfklapskino gefangen – durch München radelt, ist die Radlhauptstadt ein gutes Stück provinzieller als zuvor.
Es tut gut, wieder einmal gereist zu sein, für ein paar Stunden und eine Blickwinkeldrehung.
Das bringt neuen Schwung ins Bild.



« VorherigeWeiter »